Hertz: Der Vater der Funktechnik

Hertz: Der Vater der Funktechnik
Hertz: Der Vater der Funktechnik
 
Im Herbst des Jahres 1886 machte Heinrich Hertz, der 29-jährige Professor für Physik an der Technischen Hochschule in Karlsruhe, in seinem Laboratorium eine folgenreiche Beobachtung. Bei Experimenten mit Drahtspulen, deren Wicklungen von einer Funkenstrecke unterbrochen waren, bemerkte er, dass bereits schwache Entladungen in der ersten Spule einen Funkenüberschlag in der zweiten hervorrufen. Bei dieser Wirkung der einen Spule auf die andere mussten sehr schnelle elektrische Schwingungen im Spiel sein.
 
Auf solche Probleme war Hertz schon seit seiner Studienzeit vorbereitet. Daher wurden die Funken in den Spulen der Auftakt zum folgenträchtigsten Forschungsprogramm in der Physik des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Schon am 5. Dezember 1886 konnte Heinrich Hertz seinen ersten Artikel »Über sehr schnelle elektrische Schwingungen« der Berliner Akademie der Wissenschaften zur Publikation einsenden. In den nächsten beiden Jahren folgten zehn weitere Veröffentlichungen, in denen Hertz alles beschrieb, was über die von ihm entdeckten elektromagnetischen Wellen herauszufinden war: ihre Erzeugung und die Ausbreitung im Raum mit der Geschwindigkeit des Lichts, ihre elektrodynamischen Wirkungen und ihre Eigenschaften wie Reflexion, Polarisation und Beugung, wesensgleich mit den Wellen des Lichts.
 
Dies alles gelang mit einfachen, genial konzipierten Geräten: einem Sender, dem »hertzschen Oszillator« oder Dipol, und einem Empfänger, der ein schlichter, zu einem »Resonator« gebogener Draht war, unterbrochen von einer Funkenstrecke, in dem die Wellen unscheinbare Fünkchen erzeugten. »Es erscheint unmöglich, fast widersinnig, dass sie sollten sichtbar sein«, wunderte sich Hertz selbst über diesen Aspekt, von dem das Gelingen seines Unternehmens abhing, aber im völlig dunklen Zimmer für das geschonte Auge waren sie sichtbar.
 
Dass aus den Fünkchen noch vor Ablauf des 19. Jahrhunderts die neue Technologie der drahtlosen »Funkentelegrafie« entwickelt wurde, hat Heinrich Hertz nicht mehr erlebt, denn er starb schon 1894, nicht einmal 37 Jahre alt. Als aus der »Funkentelegrafie« schließlich der »Rundfunk« hervorging und als bedeutendste Kulturleistung seit der Erfindung des Buchdrucks begrüßt wurde, feierte man Hertz als den »Vater des Radios«, und wenn man so will, sind sein Oszillator und die Fünkchen tatsächlich der Ausgangspunkt für Radio und Radar, für avanciertere Formen der Telekommunikation und auch für den Mikrowellenofen.
 
Seine Fachkollegen und Zeitgenossen haben, weil sie von den immensen technischen Nutzanwendungen seiner Entdeckungen kaum etwas ahnen konnten, Heinrich Hertz nicht als Pionier der Technik gerühmt, sondern als großen Naturforscher gefeiert und bewundert. Alle Auszeichnungen, mit denen damals ein Physiker geehrt werden konnte, wurden ihm zuteil, und schon 1888 zählte er im beinahe noch jugendlichen Alter von 31 Jahren zu den berühmtesten Physikern Deutschlands und ein Jahr später der Welt, und dies nicht nur in Fachkreisen, sondern auch bei einem weiteren Publikum.
 
 Zur Physik auf Umwegen
 
Heinrich Hertz wurde am 22. Februar 1857 in Hamburg geboren. Er entstammte einer wohlhabenden Familie. Sein Großvater war ein reicher Kaufmann, sein Vater ein angesehener Jurist, der seine Karriere mit dem Amt des Justizsenators krönen konnte. Wie es in der Handelsstadt Hamburg üblich war, besuchte Heinrich eine private Bürgerschule, die anders als ein Gymnasium eher praktisch ausgerichtet war. Latein lernte er zusätzlich in Privatstunden. Nach neun Jahren verließ er die Bürgerschule, um sich in den nächsten beiden Jahren durch Privatunterricht, vor allem in den alten Sprachen, und durch Selbststudium auf das Abitur vorzubereiten. Er trat schließlich in die oberste Klasse der Hamburger »Gelehrtenschule des Johanneums« ein und machte zwei Wochen nach seinem 18. Geburtstag das Abitur.
 
Neben der Schule hatte sich Heinrich Hertz in der häuslichen Villa an der Alster schon früh eine zweite Ausbildungsstätte geschaffen. Er hobelte, tischlerte und drechselte mit großem Eifer und widmete sich mit zunehmender Leidenschaft naturwissenschaftlichen Experimenten. Wegen seines Interesses am Zeichnen sowie an Geometrie und Mathematik ging er sonntags in eine Gewerbeschule, und daneben lernte der hoch begabte und vielseitig interessierte Knabe noch ein wenig Hebräisch und sehr gründlich Arabisch. Nach einem Bericht seiner Mutter wiederholte sich mehrfach die dringende Empfehlung der Lehrer, dass Heinrich wegen seines außergewöhnlichen Talents unbedingt das jeweilige Fach studieren müsse — er also Mathematiker, Altphilologe oder Orientalist hätte werden sollen. Er schwankte dagegen zwischen Naturwissenschaften und der Technik, bis er sich entschloss, Bauingenieur zu werden.
 
Das vorgeschriebene einjährige Praktikum absolvierte er in Frankfurt am Main, der Heimatstadt seiner Mutter. Zunächst arbeitete er im städtischen Bauamt und dann in einem Architekturbüro am Entwurf einer Mainbrücke. Dazu pflegte er weiterhin die Interessen seiner Schulzeit: Im Städelschen Kunstinstitut modellierte er in Gips und im Naturwissenschaftlichen Verein hörte er Vorträge; er studierte Physik und Mathematik nach anspruchsvollen Büchern, las die Autoren der Antike und lernte Arabisch.
 
Anschließend ging Heinrich Herzt an das Polytechnikum in Dresden, aber nur für ein Semester, denn im Herbst 1876 musste er zum Militär einrücken. Er verbrachte das für Absolventen höherer Schulen übliche eine Jahr beim 1. Garde-Eisenbahn-Regiment in Berlin. Obwohl er das Beste daraus machen wollte, fühlte er sich beim Kommiss »wie im Fegefeuer, und der einzige Trost ist, dass 1 Jahr sehr kurz ist.« Aber er lernte auch einiges: Tunnel-, Brücken- und Festungsbau sowie Anlage und Betrieb von Eisenbahnen einschließlich Telegrafen- und Signaltechnik. Diese Ausbildung schloss er als Unteroffizier ab, und nach weiteren Übungen wurde er erst Leutnant und schließlich Premier-Leutnant der Reserve.
 
Im Herbst 1877 wollte Heinrich Hertz am Münchener Polytechnikum sein Studium fortsetzen. Aber schon vor Beginn des Semesters wurde ihm schlagartig klar, dass er nicht eigentlich Ingenieur, sondern Naturforscher werden wollte. In einem 16 Seiten langen Brief setzte er seinem Vater die Gründe auseinander, und der erteilte umgehend die Genehmigung zum Wechsel des Faches.
 
Beraten von Professor Philipp von Jolly, belegte Hertz anspruchsvolle mathematische Vorlesungen und vertiefte sich vor allem in die klassischen theoretischen Werke von Pierre Simon de Laplace und Joseph de Lagrange. »Das war natürlich genau das, was ich am liebsten mag«, schrieb er seinen Eltern. Die üblichen Physik- und Chemievorlesungen erschienen ihm dagegen etwas simpel. Da die Laboratorien im Winter nicht geheizt wurden, konnte er das experimentelle Praktikum erst im Sommersemester belegen. Auch die Experimente brachten ihm nicht viel Neues, aber er hatte doch großes Vergnügen daran.
 
 Erfolge in Berlin
 
Nach einem Jahr in München ging Heinrich Hertz an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, die größte und bedeutendste des Deutschen Reichs, an der gerade das für Hermann von Helmholtz gebaute imposante Physikalische Institut am Reichstagsufer eingeweiht worden war. An einem Anschlagbrett bemerkte Hertz eine von der Philosophischen Fakultät ausgeschriebene Preisaufgabe aus seinem Fach. Helmholtz, der diese Aufgabe gestellt hatte, ermutigte den neuen Studenten zur Bearbeitung, sagte ihm seine Unterstützung zu und wies ihm ein großes Zimmer im Institut an. Die Arbeit im Labor wurde Hertz' intensivste Beschäftigung, und dazu hörte er die anspruchsvollen Vorlesungen von Gustav Kirchhoff über »Theorie der Elektrizität und des Magnetismus« sowie von dem Mathematiker Carl Wilhelm Borchardt über »Analytische Mechanik«.
 
Für die Preisaufgabe war zu untersuchen, ob bei der zeitlichen Änderung eines elektrischen Stromes ein mechanischer Trägheitseffekt durch die Masse der Ladungsträger auftritt. Hertz löste dieses Problem mit Bravour und feilte im Frühjahr 1879 während einer Militärübung — unter »erschwerten Umständen«, wie er schrieb — am endgültigen Text. Am 4. August 1879 konnte er seinen Eltern berichten: »Ich habe nicht nur den Preis erhalten, sondern das Urteil der Fakultät war so lobend abgefasst, dass mir das den Wert des Preises auf das Doppelte erhöht.« Allerdings wurmte ihn, dass er für die Medaille den Goldwert von 250 Mark bezahlen musste. Als Anfang des nächsten Jahres seine Lösung der Preisaufgabe in den »Annalen der Physik und Chemie« erschien, hatte sich Heinrich Hertz als forschender Physiker etabliert.
 
Wichtiger noch war freilich, dass er als Lieblingsschüler von Helmholtz in dessen Forschungsprogramm zur Klärung der elektromagnetischen Erscheinungen einbezogen wurde. Zwar funktionierten damals Telegrafenleitungen und Dynamomaschinen bereits hervorragend, aber die Theorie des Elektromagnetismus nannte Helmholtz wegen der Vielzahl konkurrierender und einander widersprechender Annahmen eine »unwegsame Wüste«. Auf der einen Seite gab es eine von Wilhelm Weber konzipierte Theorie, die in Anlehnung an die newtonsche Mechanik von »Fernkräften« ausging, die ohne Zeitverzug die größten Entfernungen im Raum überspringen. Auf der anderen Seite hatte James Clerk Maxwell in Fortführung der Arbeiten von Michael Faraday die Vorstellung eines elektromagnetischen Feldes entwickelt, das sich als selbstständige Entität in den Isolatoren und im Raum als »Nahwirkung« mit einer endlichen Geschwindigkeit ausbreitet, die der des Lichtes entspricht.
 
Helmholtz selbst hatte eine integrative »Übertheorie« ausgearbeitet, die als Grenzfälle auch die Theorien von Weber und Maxwell enthielt. Bei geschlossenen Stromkreisen lieferten alle Theorien die gleichen Resultate, nicht jedoch bei offenen. In Berlin hatte Helmholtz eine Tradition begründet, auf experimentellem Wege die verwickelten theoretischen Probleme aufzuklären. Schon die Preisaufgabe hatte mit diesem Problemkreis zu tun, denn die zu untersuchende Trägheit der Elektrizität war ein wesentliches Element der weberschen Theorie. Das von Hertz gefundene Resultat, dass diese Trägheit nicht existiert oder zumindest sehr klein ist, sprach daher gegen diese Theorie.
 
An diesen Erfolg sollte Hertz durch die Bearbeitung einer weiteren Preisaufgabe anknüpfen, die Helmholtz durch die Akademie der Wissenschaften stellen ließ. Sie hatte die elektrodynamischen Wirkungen in Isolatoren zum Gegenstand. Aus den Sommerferien in Hamburg kehrte Hertz mit einer 60 Seiten langen Ausarbeitung zurück, die nicht sehr ermutigend war: »Es zeigte sich, dass eine unzweifelhafte Wirkung kaum zu hoffen war, vielmehr nur eine solche, die an der Grenze der Beobachtung lag.« Voraussichtlich drei Jahre intensiver Arbeit bei fraglichem Ausgang waren so abschreckend, dass Hertz verzichtete. Drei Jahre später hieß es in den Akademieakten lakonisch: »Die Aufgabe wurde nicht bearbeitet.« — Eine Lösung wurde erst 1887 vorgelegt, und zwar von Heinrich Hertz.
 
Die intensive Auseinandersetzung mit der Akademieaufgabe ging nahtlos in seine Dissertation über. Schon nach den Weihnachtsferien konnte er sie einreichen, zusammen mit einem Gesuch um eine Ausnahmegenehmigung, weil er noch nicht die vorgeschriebenen sechs Semester absolviert hatte. Am 5. Februar 1880 bestand er mit Glanz die Prüfung, und nach öffentlicher Verteidigung war er Herr Doktor. Seine Dissertation »Über die Induktion in rotierenden Kugeln« war eine mathematisch-theoretische »tour de force«, die 100 Druckseiten umfasste.
 
Nach diesen Erfolgen bot Helmholtz im Sommer 1880 eine frei gewordene Assistentenstelle Hertz an, für den das »ein Glück und eine Ehre« war. Er wohnte fortan im Institut und hatte das Praktikum zu betreuen. Als Hauptsache aber konnte er während der zweieinhalbjährigen Assistentenzeit ein Dutzend beeindruckender Artikel aus vielen Bereichen veröffentlichen. Elektrodynamische Studien, theoretisch-mathematische Untersuchungen über Härte und Elastizität von großer praktischer Bedeutung, experimentelle Arbeiten über Verdunstung und die Konstruktion neuer Messgeräte zeugen von seiner Vielseitigkeit. In den theoretischen Arbeiten demonstrierte Hertz überragende mathematische Fähigkeiten und in den experimentellen eine virtuose Geschicklichkeit. Mit großer Leidenschaft wickelte er Spulen oder betrieb die Glasbläserei und fabrizierte überhaupt alles, was irgend ging, selbst — vom empfindlichen Galvanometer bis zur schweren Batterie.
 
 Dozent in Kiel
 
Mit einer aufwendigen Untersuchung der Glimmentladung in Gasentladungsröhren wollte Hertz sich in Berlin habilitieren, als ihn das Angebot einer Dozentur in Kiel erreichte, die durch ein Stipendium des preußischen Kultusministeriums finanziert wurde. Da sich in Berlin die Privatdozenten bereits drängelten, entschloss er sich zum Wechsel nach Kiel. Er legte seine bereits gedruckte Arbeit »Über die Berührung fester elastischer Körper« als Habilitationsschrift vor und erhielt am 30. April 1883 die Lehrbefugnis für das Fach mathematische Physik. Die experimentelle Untersuchung »Über die Glimmentladung« erschien im Sommer in den »Annalen«; sie war sein Meisterstück und trug ihm begeistertes Lob nicht nur von Helmholtz ein.
 
An mathematischer oder theoretischer Physik bestand bei den nur 400 Studenten der kleinen Kieler Universität allerdings kaum Interesse. Noch mehr litt Hertz darunter, dass er keinen Zugang zum Physikalischen Institut und daher keine Gelegenheit zum Experimentieren hatte. Ein kleines Labor in seiner Wohnung war kein ausreichender Ersatz, sodass er nur Theoretisches publizieren konnte. Herausragend war eine Studie, in der sich aus sehr allgemeinen Annahmen die Überlegenheit der maxwellschen Elektrodynamik gegenüber den konkurrierenden Theorien ergab. Das war, wie Max Planck später erklärte, »eine theoretische Leistung ersten Ranges.«
 
 Funken und Wellen in Karlsruhe
 
Die unbefriedigende Situation in Kiel fand ein Ende durch einen Ruf an die Technische Hochschule in Karlsruhe, wo Hertz am 1. April 1885 die Professur für Physik antrat. Das Gehalt war bescheiden und die Pflichten waren vielfältig, aber das Labor war hervorragend. Im ersten Jahr war Hertz mit der Einarbeitung in die neue Situation mehr als ausgelastet, denn neben der großen Vorlesung zur Experimentalphysik hatte er noch Elektrotechnik und Meteorologie zu unterrichten. Wiederkehrende Stimmungstrübungen wuchsen sich durch eine unglückliche Liebesaffäre zu so schweren Depressionen aus, dass er im Herbst 1885 seinen Dienst erst mit einmonatiger Verspätung antreten konnte. Aber im nächsten Jahr lichteten sich die Wolken: Im Sommer 1886 heiratete er Elisabeth Doll, die Tochter eines Dozenten für Geodäsie, und bald darauf fand er ein Feld sehr erfolgversprechender Forschung.
 
Ausgehend von seiner Beobachtung der Funkenüberschläge bei den riesschen Spulen, reduzierte Hertz die Situation auf das Wesentliche: Zwei Kondensatorkugeln, die durch Drähte über eine Funkenstrecke verbunden waren, wurden der »Sender«, und ein lediglich von einer Funkenstrecke unterbrochener Draht diente ihm als »Empfänger«. Entscheidend war Hertz' Beobachtung, dass sich dabei regelmäßige, sehr schnelle Schwingungen ausbilden und nachweisen lassen, was er sogleich in den »Annalen« mitteilte. Bei der gründlichen Untersuchung dieses Phänomens wurde ihm klar, dass er mit den schnellen Schwingungen ein Mittel in der Hand hatte, die Preisaufgabe der Akademie aus dem Jahre 1879 zu lösen.
 
Zunächst war Hertz aber aufgefallen, dass der zweite Funke durch das Licht des ersten verstärkt wird. Im Frühjahr 1887 konzentrierte er sich ganz auf diese Erscheinung und arbeitete in langen Versuchsreihen heraus, dass sie nur durch den ultravioletten Anteil des Lichts bewirkt wird. Mit der methodischen Erforschung dieses Phänomens entdeckte er den »photoelektrischen Effekt«. Das Aufsehen, das die Veröffentlichung dieser fundamentalen Entdeckung im Sommer 1887 sogar in Zeitungen erregte, garantierte gespanntes Interesse für alle weiteren Arbeiten des Karlsruher Professors.
 
Nach den Sommerferien wandte sich Heinrich Hertz sofort wieder den elektrischen Schwingungen zu. Zunächst baute er einen Apparat, mit dem er die elektrodynamischen Wirkungen in Isolatoren — von einem Stapel Bücher bis zu Blöcken aus Paraffin, Pech oder Asphalt — nachweisen konnte. Damit hatte er die 1879 gestellte Akademieaufgabe wenigstens nachträglich gelöst. Am 5. November 1887 sandte er sein Manuskript an Helmholtz, und der gratulierte mit doppeltem Ausrufungszeichen: »Bravo!!« Währenddessen hatte Hertz ständig die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen untersucht, sowohl entlang von Drähten als auch im Raum. Ein besonderes Erlebnis hatte er in den Weihnachtsferien, als er mit seinen Apparaten aus dem Laboratorium in den großen Hörsaal umziehen konnte. Am 23. Dezember 1887 fand er »eine Andeutung für die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit«. Am zweiten Weihnachtsfeiertag erhielt er eine Bestätigung. Am 28. Dezember hatte er »die Wirkung der elektrodynamischen Wellen auf 14 Meter wahrgenommen« und tags darauf die Reflexion an der Wand. Silvester war er »müde vom Experimentieren«, hat aber »gern auf das Jahr zurückgesehen«.
 
Im nächsten Jahr konnte er die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen eindeutig sicherstellen. Seine experimentellen und theoretischen Abhandlungen erregten Bewunderung, die Abhandlung »Über die Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektrodynamischen Wirkungen« vom Januar 1888 würdigte Helmholtz als »genial«. Im September 1888 wurden seine Leistungen sogar in der Londoner »Times« als »denkwürdig« gerühmt.
 
Durch Verkleinerung seines »Senders« konnte Hertz schließlich Wellen einer Länge von nur noch 30 Zentimetern erzeugen, die geeigneter waren als die anfänglich erhaltenen 4 bis 5 Meter langen Wellen. Damit konnte er in den nächsten Monaten alle Analogien der elektromagnetischen zu den optischen Wellen aufzeigen: Fokussierung durch Metallspiegel, Polarisation durch Drahtgitter und Brechung durch ein großes Prisma aus Asphalt. Damit hatte auch die in der Theorie beklagte »unwegsame Wüste« ein Ende, denn die maxwellsche Theorie hatte sich als die einzig richtige erwiesen.
 
 Triumph und Ruhm
 
Im September 1888 bemühte sich das Kultusministerium in Berlin, Hertz für Preußen zu gewinnen. In Berlin und in Bonn wurden ihm Professuren angeboten. Der Umworbene wechselte zum 1. April 1889 nach Bonn. Im September 1889 hielt er auf der Naturforscherversammlung in Heidelberg seinen berühmten Vortrag über »Licht und Elektrizität«, war der Mittelpunkt der Veranstaltung und wurde von Helmholtz, Siemens und Edison beglückwünscht.
 
Die Zeitgenossen und auch die Nachwelt haben Hertz als Erkenntnis von epochalem Rang zu verdanken, dass er die Identität zweier Bereiche aufgezeigt hat, die zuvor als völlig unabhängig voneinander betrachtet wurden: Licht und Elektrizität sind eins. Eine solche »Vereinheitlichung« war immer und wäre auch heute ein Triumph jeder Naturforschung. Die Bedeutung dieser Erkenntnis illustrierte Hertz mit gezügeltem Pathos: »Das Licht ist eine elektrische Erscheinung, das Licht der Sonne, das Licht einer Kerze, das Licht eines Glühwurms. Nehmt aus der Kerze das Licht eines Glühwurms. Nehmt aus der Welt die Elektrizität, und das Licht verschwindet.« Zugleich hatte Hertz aber die seit zweihundert Jahren bestehende Einheit der Physik, die auf der von Isaac Newton formulierten Mechanik und dem Gravitationsgesetz gründete, aus den Angeln gehoben. Neben die Gravitation, von der angenommen wurde, dass sie über die größten Distanzen ohne Zeitverzögerung wirkt, trat nun der weite Bereich elektrischer Erscheinungen, die sich mit zwar großer, aber endlicher Geschwindigkeit im Raum ausbreiten.
 
Als philosophierender Physiker, der Hertz in herausragendem Maße war, stellte er in Bonn zwei Abhandlungen fertig, in denen die Elektrodynamik von allen Reminiszenzen an die Mechanik gereinigt wurde. Er gab den mithilfe mechanischer Modelle entwickelten und gegründeten maxwellschen Gleichungen ihre kanonische Form und etablierte neben der Mechanik die Elektrodynamik als eigenständige Theorie — als eine »Physik ohne Mythologie«, wie Ernst Mach ihn beglückwünschte. Vermutlich auf der Suche nach einer Begründung aller Physik auf einheitlicher Grundlage wandte sich Hertz schließlich einer tief schürfenden Untersuchung der Grundlagen der Mechanik zu, bei der er nur die drei Begriffe von Raum, Zeit und Masse heranzog und insbesondere den widersprüchlichen Begriff der Kraft eliminierte.
 
Auch nach mehr als einem Jahrhundert erregen nicht nur die Resultate und ihre Folgen die größte Bewunderung, sondern vor allem der einzigartige Stil der hertzschen Arbeiten, der von einer virtuosen Kunst des Experimentierens, einem tiefen theoretischen Verständnis sowie exzellenter mathematischer Technik zeugt. Gewiss ist kein Zweifel daran möglich, dass die elektromagnetischen Wellen nicht auf ewig verborgen geblieben wären, wenn Heinrich Hertz seinem ursprünglichen Berufswunsch gefolgt und nicht Physiker, sondern Bauingenieur geworden wäre. Früher oder später wären diese Phänomene auch von anderen erzeugt und zu einer theoretischen Deutung zusammengefügt worden, dann aber gewiss nicht in einem so perfekten Guss und in derart strahlender Vollendung, wie sie Heinrich Hertz gelang und von der Max Planck in seiner Gedächtnisrede rühmte, dass sie »nur die schärfste Logik im Bunde mit echt künstlerischer Fantasie erzeugen kann«.
 
Niemand anders als Heinrich Hertz hätte aber das heroische Projekt unternommen, die physikalische Grundlagendisziplin der Mechanik von ihren »schmerzenden Widersprüchen« zu befreien und in logisch stringenter Form zu entwickeln. In seinen »Prinzipien der Mechanik« hat Hertz ein Werk von abstrakter Architektonik geschaffen, das in seiner kristallenen Klarheit zugleich Ausdruck höchster Individualität ist. Er hat diese Aufgabe offenbar als Vorbereitung für eine systematische und logisch einwandfreie Darstellung der gesamten Physik einschließlich der Elektrodynamik gesehen, aber dazu ist es nicht mehr gekommen. So wurde die »Mechanik« nicht der Auftakt zu Neuem, sondern blieb eher ein Schwanengesang auf die später als »klassisch« bezeichnete Epoche der Physik. Während die Physiker mit diesem Werk nicht viel anzufangen wussten, hat es in der Philosophie eine bis heute nicht ausgelotete Nachwirkung: Eine der tiefsinnigsten Abhandlungen des 20. Jahrhunderts, der »Tractatus logico-philosophicus« von Ludwig Wittgenstein, ist der von Hertz in der »Mechanik« entfalteten Philosophie in einem so hohen Maße verpflichtet, dass er ohne Kenntnis dieses Hintergrundes nicht angemessen interpretiert werden kann. Hertz hätte diese Wendung gefreut, denn ihm war wichtig, dass für die Physik der »Anschluss an die Philosophie nicht ganz verloren gehe«. Sein Buch zur Mechanik konnte er auf dem Krankenlager noch vollenden, sein Erscheinen hat er nicht mehr erlebt.
 
 Das frühe Ende
 
Seit dem Sommer 1892 litt Hertz an einer chronischen Entzündung der Stirnhöhlen, die auf weitere Bereiche des Kopfes übergriff — ein Übel, das heute mit Antibiotika leicht zu kurieren wäre. Hertz musste aber seine Vorlesungen für ein ganzes Semester aussetzen. Wiederholte Operationen und Kuren brachten Linderung, aber keine Heilung, sodass er schließlich am Neujahrstag des Jahres 1894 einer schleichenden Blutvergiftung erlag. Zu diesem tragischen Ende sollen übrigens auch die Institutsräume im Bonner Schloss beigetragen haben, deren klimatische Verhältnisse denen einer nasskalten Kasematte glichen.
 
Tief war die Trauer über den frühen Tod von Heinrich Hertz. Hermann von Helmholtz nannte ihn einen »bevorzugten Liebling des Genius« und die Nachricht von seinem Tod »eine tief erschütternde«. In England, dem Lande Faradays und Maxwells, wurde beklagt, dass die Wissenschaft »ihre beste und reichste Hoffnung zu Grabe getragen« habe, denn »seine Arbeiten zählen zu den höchsten Errungenschaften, deren der menschliche Geist fähig ist«. Dass zum Vergleich gar der englische Nationalheros Isaac Newton herangezogen wurde, war die höchste in England denkbare Auszeichnung: »Es war derselbe philosophische Geist, der einst in Newton eine verborgene Welt durch ein einfaches Glasprisma erschloss, der nun in der Person unseres genialen Fachgenossen das Gleiche durch flüchtige Funken erreichte«.
 
Hätte Heinrich Hertz auch nur ein Jahrzehnt länger leben und arbeiten können, so wäre zweifellos die Entstehung der modernen Physik des 20. Jahrhunderts, also Relativitäts- und Quantentheorie, von ihm entscheidend mitgestaltet worden.
 
Ausgabe
 
Die Constitution der Materie. Eine Vorlesung über die Grundlagen der Physik aus dem Jahre 1884, herausgegeben von Albrecht Fölsing (Berlin 1999)
 
Albrecht Fölsing
 
Heinrich Hertz. Classical physicist, modern philosopher, herausgegeben von
 
 
Josef Kuczera: Heinrich Hertz. Entdecker der Radiowellen. Leipzig 1987.
 Jed Z. Buchwald: The creation of scientific effects. Heinrich Hertz and electric waves. Chicago, Ill., 1994.
 Albrecht Fölsing: Heinrich Hertz. Hamburg 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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